Digitalisierung geht meistens tiefer, als es scheint
„Das haben wir schon immer so gemacht.“ Diesen Satz kennen sicherlich die meisten Vereinsvorstände. Er sagt viel über die Art und Weise aus, wie Menschen zusammenarbeiten.
Routinen schaffen Platz für anderes und geben Sicherheit. Die Antwort auf ein Problem ist bereits im Handlungswissen ‚gespeichert‘. Sie muss nur abgerufen werden. Die Welt mit ihren Herausforderungen wird planbar und begreifbar. Das gibt Sicherheit, Orientierung und stärkt das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten und führt zu Handlungsfähigkeit.
Wir haben ein Problem? Kein Problem! Wir haben das Problem schon ganz oft gelöst. Wir machend das einfach genauso, wie wir bisher alle Probleme gelöst haben. Das geht fast von selbst und ist kaum einen Gedanken wert. Routinen greifen und übernehmen den Aufwand, komplett neue Strategien zu entwickeln. Eine eigentlich sehr sinnvolle Vorgehensweise, die nebenbei auch noch Zeit und Energie spart.
Aber die Gesellschaft ändert sich immer schneller. Das liegt u.a. an einer immer stäerker digitalisierten Welt. Daten, Prozesse und Kommunikation rauschen in Echtzeit um den Globus. Es entsteht zum Beispiel oft die Erwartung, dass Sportvereine genauso schnell und am besten rund um die Uhr für alle Anliegen Lösungen parat haben.
Nun kommt es vor, dass Lösungen die „immer so gemacht wurden“ nicht mehr funktionieren. Es scheint neue Wege, viel mehr Wissen und andere (digitalere) Strukturen zu brauchen, um den Herausforderungen zu begegnen.
Eine Lösung scheint dabei auf der Hand zu liegen: Mehr Digitalisierung. Doch jedes Mal, wenn etwas digitaler werden soll, bedroht es eben jenes „das haben wir doch immer so gemacht“. Plötzlich sollen die Mitglieder nicht mehr im Ordner abgeheftet sondern in einer Datei gespeichert werden. Einladungen werden nun in den sozialen Medien verschickt. Dabei haben wir uns doch immer Reihum zum ‚Eintüten‘ der Briefe getroffen… Das war einer der Höhepunkte im Jahr!
Da kommt etwas Neues daher, dass in Frage stellt, was bisher immer galt. Jahrzehntelang haben Vereinsmitglieder sich eingebracht, haben den Verein gestaltet, nach vorne gebracht und viel investiert. Plötzlich erscheint es so, als ob das falsch gewesen sei und nun korrigiert werden müsse. Rhythmus, Ansprechpersonen, Kommunikationswege, Angebote… Alles ändert sich und erscheint so, als ob es gar nicht mehr der Verein wäre, für den sich Mitglieder so lange engagiert haben. Das kann Lebenswerke in Frage stellen oder Einstellungen und Überzeugungen, die viel mehr als nur den Verein umfassen.
Bedenken wir, dass Digitalisierungsprozesse oft viel tiefer in die Struktur unseres Vereins eingreifen, als es zunächst erscheint.
Das hat große Vorteile und Potentiale für die Entwicklung zum zukunftsfähigen Sportverein. Es kann aber auch dazu führen, dass Engagierte und Mitglieder ein Stück Sicherheit, Planbarkeit und Vorhersehbarkeit in einer Welt verlieren, in der sie ohnehin täglich mit komplexen Veränderungen herausgefordert sind.
Halten wir fest, dass selbst die oberflächlichste Digitalisierung als Veränderungsprozess bei Menschen zu ganz persönlichen Bedrohungen werden kann. Das Gefühl von Bedrohung und Angst entsteht, weil in wenigen Bruchteilen von Sekunden eine Bilanz gezogen wird: Kann ich das, was da kommt mit dem was ich bin, habe und weiß bewältigen? Lautet die Antwort auf die Frage „nein“ oder „vielleicht nicht“, kann Widerstand und Aggression die Reaktion sein. Denn niemand möchte sich gerne so erschüttern lassen, dass er sich hilflos und überfordert fühlt.
Um trotzdem erfolgreich notwendige neue digitale Tools oder Abläufe im Verein einzuführen, braucht es das Wissen um diese Herausforderung.
Die Lösung ist es, gemeinsame Notwendigkeiten zu erarbeiten und alles dabei so transparent wie möglich zu machen.
Besteht Einigkeit im Ziel, können unterschiedliche Wege diskutiert werden. Werden die Planungen konkreter, braucht es Zeit, Hilfe, Unterstützungsangebote und Räume zum Experimentieren.
Das Ziel sollte sein, gemeinsam neue Routinen und Kompetenzen zu entwickeln, damit die Frage „Kann ich das, was da kommt bewältigen?“ mit „Ja“ beantwortet wird.
Erst danach besteht erst die Chance, dass der Digitalisierungsprozess zum Schluss sogar als Erleichterung wahrgenommen wird.
Und wenn die Neuerungen sogar noch dazu führen, dass die Vereinsmitglieder feststellen: „Das hilft mir! Früher war das viel umständlicher“, dann steht dem nächsten Schritt zum digitalen Sportverein viel weniger im Weg.
Orientierungsfragen für Ihren Verein:
- Was tun wir, um skeptische Mitglieder zu beteiligen?
- Wissen wir, ob unsere Planungen Ängste oder Skepsis hervorbringen? Wenn ja, kennen wir sie konkret?
- Warum könnten Widerstände entstehen? Versetzen wir uns genug in die betroffenen Personen hinein?
- Sind alle Gruppen und Personen im Verein beteiligt, die beteiligt werden sollten?
- Fließen die Informationen über die Vorhaben transparent?
- Stellen wir die Vorteile der Neuerungen gut genug heraus?
- Haben alle Vereinsmitglieder die beteiligt werden müssen verstanden, was warum passieren soll?
Quelle:
Reppmann, Manuel; Edinger-Schons, Laura Marie (2021): DIGITAL-REPORT 2021. Auswirkungen der Corona-Pandemie auf den Non-Profit Sektor. (Hrsg.): Haus des Stiftens & Universität Mannheim.
Der Digitalisierungswegweiser für Sportvereine
Wo stehen Sie eigentlich in Themenfeld Digitalisierung in Ihrem Sportverein? Der Wegweiser des Niedersächsischen Turnerbundes zeigt den aktuellen Stand.